Frau Moser ist dreiundachtzig, sie ist eine alte Frau, ich kann nichts mit ihr anfangen, immerhin ist sie fünfzehn Jahre älter als ich und bissig wie ein Pit Bull Terrier. Ihre Haut aschfahl, fast weiß, das Gesicht dominiert von Zähnen. Sie bleckt die Zähne wenn sie nur Essen riecht, dann kommandierte sie uns am Vierer-Tisch: »Servietten anlegen und jetzt Ruhe!«. Tag für Tag, seit zwei Jahren. Ich bat um Versetzung an einen anderen Tisch — abgelehnt. Ich bat auf dem Zimmer alleine essen zu dürfen — abgelehnt. Ich bat um Beruhigungstabletten — ich bekam sie.
Jetzt, nach dem Mittagessen, schaue ich wieder in den Spiegel. Meine Tränen füllen die Wangen, schon als Kind konnte ich die Tränen in meinen Wangen sammeln, niemand sollte sie sehen. Und meine Zähne zittern, ich nehme sie heraus und lege sie in Kukident. Vor mir die Beruhigungstabletten, eine halbe davon schlucke ich, lege mich auf das frisch gemachte Bett und schlafe nach wenigen Minuten ein.
Nach zwei Stunden bin ich wach, so hellwach das ich so lache wie seit Monaten nicht mehr. War es im Traum, war es der erste Gedanke beim Aufwachen? Ich gehe an das Waschbecken, sehe mein Leben, das meine Haut gegerbt und in sie geritzt hat und ich bin stolz darauf. Viel habe ich erreicht und viel möchte ich noch erreichen. Ich bin nicht irgend wer, ich bin eine Frau von 68 Jahren und möchte noch mindestens siebenundachtzig werden, älter werden als die Moser. Ich sehe vor mir diese dreiundachtzige Moser und spucke auf sie. Ich fühle mich wie früher, ausgeglichen und alle Farben der Welt in den Augen.
Frau Moser trinkt gerne Cola, niemand bringt es ihr, ihre Verwandten sind aus der gleichen Zucht, deshalb kümmern sie sich auch nicht um sie. Nur ich biete ihr manchmal eine Flasche Cola an, die sie dann mit erregten und gierigen Schlucken bis zum letzten Tropfen austrinkt. Meine Kinder durften keine Cola trinken. Mein Sohn bringt mir manchmal eine Flasche Cola vorbei, er denkt, ich mag es.
Sind zehn in Ordnung, nein fünfzehn, besser sind doch zwanzig Beruhigungstabletten und ich löse sie in einem Liter Cola auf. Ich kann den Abend kaum erwarten, Essenszeit und die Moser wird wieder kommandieren »Servietten anlegen und jetzt Ruhe«. Ruhe!